„Die Philosophen des letzten Jahrhunderts haben sich mit Eifer der Zerstörung der religiösen, politischen und sozialen Illusionen gewidmet, von denen unsere Vorfahren jahrhundertelang gelebt haben. Indem sie sie zerstörten, haben sie die Quellen der Hoffnung und der Resignation ausgetrocknet. Hinter den verbrannten Schimären sahen sie sich mit den blinden und schweigenden Kräften der Natur konfrontiert, die unerbittlich gegen Schwäche sind und kein Mitleid kennen.
Trotz aller Fortschritte ist die Philosophie bisher nicht in der Lage gewesen, den Massen ein Ideal zu bieten, das sie bezaubern könnte; da sie aber ihre Illusionen um jeden Preis haben müssen, wenden sie sich instinktiv, wie das Insekt das Licht sucht, den Rhetorikern zu, die ihnen geben, was sie wollen. Nicht die Wahrheit, sondern der Irrtum war schon immer der wichtigste Faktor in der Entwicklung der Nationen, und der Grund, warum der Sozialismus heute so mächtig ist, liegt darin, dass er die letzte Illusion darstellt, die noch lebendig ist. Trotz aller wissenschaftlichen Beweise ist er immer noch auf dem Vormarsch. Seine Hauptstärke liegt darin, dass er von Menschen vertreten wird, die die Realität nicht kennen und es wagen, der Menschheit Glück zu versprechen. Die soziale Illusion regiert heute auf allen aufgeschütteten Trümmern der Vergangenheit, und ihr gehört die Zukunft. Die Massen haben nie nach der Wahrheit gedürstet. Sie wenden sich von Beweisen ab, die nicht nach ihrem Geschmack sind, und ziehen es vor, den Irrtum zu vergöttern, wenn der Irrtum sie verführt. Wer sie mit Illusionen versorgen kann, ist leicht ihr Meister; wer versucht, ihre Illusionen zu zerstören, ist immer ihr Opfer.“
Gustave Le Bon (1895)