„Aufgrund der Inflation von Zuständigkeiten verschiebt sich der Stil staatlichen Handelns wie unter dem Diktat eines noch unbegriffenen evolutionären Gesetzes von der Gestaltungspolitik zur Kompensationspolitik. War die Moderne das Weltalter der Projekte, erweist sich die Postmoderne als das Zeitalter der Reparaturen. Von Sigmund Freud, der .. den Menschen einen ‚Prothesengott‘ nannte, stammt der Anstoß, einhundert Jahre später auch von Prothesenregierungen zu reden. Waren Fortschritt und Reaktion die Leitbegriffe des 19., sind Pfusch und Reparatur die des 21. Jahrhunderts. Größere Politik scheint nur noch als ausgeweiteter Pannendienst möglich. Von dem phantasiert die wohlmeinende politische Theorie seit einer Weile unter dem Stichwort Global Governance. Das Wort bezeichnet ein Vorhaben, das praktisch und faktisch nicht gelingt, weil in der Welt der lokal zersplitterten Agenden immer anderes wichtiger sein wird als die Sorge ums Ganze. Scheint eine effiziente Agentur für globale Probleme bis auf weiteres nicht etabliert, stellt dies den systemischen status quo unter Beweis: Auf den nach wie vor anarchisch verfaßten bzw. unverfaßten höheren Ebenen des Weltgeschehens ist die Koordination von Störfall und Reparatur noch schwerer zu erreichen als auf nachgeordneten Stufen.“
Peter Sloterdijk (Die schrecklichen Kinder der Neuzeit)