„Wohl ist es möglich, die ganze (amerikanische) Bevölkerung in eine Wut und Haßstimmung zu versetzen – der ‚furor americanus‘ kann von keinem andern Volk überboten werden -, aber eine wirkliche politische Linie lange zu halten, ist dieser Nation unmöglich. Zu groß ist ihre Nervosität, ihr Sensationsbedürfnis, ihre Abhängigkeit von Presse und Radio, ihr Mangel an wirklicher Überzeugung; es muß in diesem Land immer etwas vorgehen, sonst könnte das größte Unglück eintreten! Das Volk würde sich zu langweilen beginnen, und es ist unabsehbar, was es in solcher Situation anfangen würde.
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Wie kann diese Schwäche des Nationalcharakters erklärt werden, die für die Außenpolitik so verhängnisvolle Folgen hat?
Die Erfahrungen dieser Jahre haben eines gelehrt. Diesem großen Kontinent fehlt die geistige Hauptstadt. Washington ist heute eine Beamtensiedlung, von der nichts Faszinierendes ausströmt. Den Charakter der Nation bestimmt die Provinz und der Kleinbürger: daher die Vorliebe für das Detail und die Allgleichmacherei. Der Spießbürger wünscht, alle Welt solle so sein wie er. Für andere Lebensformen bringt er kein Verständnis auf.
‚Können Sie sich vorstellen‘, fragte mich einmal eine im Pentagon arbeitende hervorragende Persönlichkeit, die das dauernde Schwanken in den Richtlinien oft zur Verzweiflung gebracht hatte, ‚daß wir bei diesem Chaos der Leitung den Krieg gewinnen können‘?‘ ‚Ja‘, antwortete ich, ‚weil es auf der andern Seite sichtlich kaum anders steht.‘
Gott möge aber Amerika gnädig sein, stünde es einmal einem autokratischen Genie von Napoleons Format gegenüber.“
Felix Somary (Erinnerungen, 1955)