„Die Kriege haben die vorhandenen Spannungen verschärft und neue wirtschaftliche und soziale Spannungen geschaffen. Mit dem Kriegsdienst wurde einem großen Teil der Bevölkerung die selbständige Initiative entzogen. Dem Frontsoldaten waren Entscheidungen untersagt, über ihn wurde von staatlichen Zentralstellen entschieden; er wurde zur Nummer in einem Regiment, das selbst wieder numeriert war. Sein Lebensweg war vorgeschrieben, für seine leiblichen Bedürfnisse und eventuell die seiner Familie wurde gesorgt. Er hatte seine Dienstpflichten zu erfüllen und sich sonst um nichts zu kümmern. Auch derjenige Teil der Bevölkerung, der in der Kriegsindustrie stand, war dirigiert. Der Staat entschied Art, Quantität und Qualität der Produktion, bestimmte Prioritäten für Arbeitskräfte, Rohstoffe, Importgüter oder wies sie anderen Ländern zu, nahm Einfluß auf Preise und Löhne und verkürzte durch Rationierung den Konsum.
Da die Kosten des Krieges weit über das verfügbare Volkseinkommen hinausgehen, wird das Kapital angegriffen, durch Kapital- oder Erbschaftssteuern und durch verschiedene Enteignungsmaßnahmen, deren wichtigste die dauernde Geldwertverschlechterung ist. Der Staat setzt sich in Besitz der Notenbanken und bestimmt die Anlagen aller Kreditinstitute.
Wieviel von diesen Maßnahmen nach Kriegsende bleibt, hängt mehr von der Dauer des Krieges und von der politischen Situation bei seiner Beendigung ab als von der Mentalität der Bevölkerung. Ist Friede nicht gesichert, so bleibt ziemlich viel.
Der Krieg der Massenarmeen begünstigt die Gleichheit und eliminiert die Freiheit. Er schafft die Schicksals- und die Todesgemeinschaft. Die Kameradschaft des Krieges ist, von der Familie abgesehen, keine Friedensgemeinschaft gleichzusetzen. Der Krieg uniformiert Gedanken und Sprache, Nahrung und Kleidung, Leben und Sterben.
Er eliminiert die Freiheit des Berufs, der Ortswahl, der Materialwahl, der Produktions- und Konsumgüterwahl. Die Unternehmertätigkeit wird vielfach überflüssig, das Individualrisiko für Unternehmer und Arbeiter verschwindet, wird durch das Schicksal der zentralen Organisation bestimmt, die alles leitet. Bricht sie zusammen, bleibt dann kaum mehr etwas übrig. Die Folgen einer Niederlage im modernen Kriege sind daher auch für die nicht unmittelbar am Krieg beteiligten Individuen vernichtend.
Bei langer Dauer eines Krieges wird die Kriegsmentalität zu dauernder Gewohnheit für Unternehmer, Arbeiter und Soldaten, ja für die ganze Nation. Das hat eine Reihe schwerwiegender Folgen. Der Staat wird zum Sorgenträger, zum Dirigenten des Schicksals der Individuen; auch für den Frieden bleibt eine dauernde Schwächung des Selbstverantwortlichkeitsgefühls zurück. Gleichzeitig damit sinkt der Widerstand gegen die Erweiterung der Kompetenz des Staates und seiner Organe. Dienstbereitschaft bis zur ausgesprochenen Servilität ist überall gewachsen.“
Felix Somary