Englische ‚Handelspolitik‘

In Deutschland gilt derjenige, der auf den Schmutz hinweist, für viel gefährlicher als derjenige, der den Schmutz macht.

— Kurt Tucholsky

Englische ‚Handelspolitik‘

„Zum Inbegriff der merkantilistischen Handelspolitik wurden die englischen Navigationsakten (die erste von 1651, danach in unterschiedlicher Form jeweils erneuert in Kraft bis 1854) und die englisch-niederländischen Seekriege im zweiten Drittel des 17. Jahrhunderts. Großbritannien versuchte in diesen Kriegen, den bis dato dominanten niederländischen Kaufleuten das Geschäft zu zerstören, indem man sie de facto aus dem Handel mit der Insel ausschloss und auch ihren Zwischenhandel systematisch zu unterbinden trachtete. Das funktionierte nicht sonderlich gut, da der niederländische Handel schlicht besser organisisert war und über leistungsfähigere Schiffstypen verfügte, sodass die Holländer ihre Speditionsdienstleistungen überaus günstig anbieten konnten. Selbst im Heringsfang und in der Heringsvermarktung hinkten die Engländer den holländischen Seeleuten weit hinterher. Da zugleich große Summen aus England auf den Amsterdamer Finanzplatz abflossen, wurde die holländische Konkurrenz als so bedrohlich empfunden, dass zu ihrer Unterdrückung jedes Mittel recht schien, einschießlich das des Seekrieges.

Der Ausgang der kriegerischen Auseinandersetzungen blieb letztlich untentschieden, doch schreckten die Engländer nicht davor zurück, zeitweise mit der französischen Politik unter Ludwig XIV. gemeinsame Sache zu machen, um die niederländische Republik auszuschalten. Schließlich ging die niederländische Dominanz im internationalen Handel verloren; London trat im 18. Jahrhundert in umfassender Hinsicht an die Stelle Amsterdams, das jedoch weiterhin von Bedeutung blieb.“

 

„Ein neues merkantilistisches Zeitalter brach an, als die Staaten im internationalen Handel Protektionismus und diskriminierende Maßnahmen nutzten, um die eigene Stellung zu behaupten und die der anderen zu schädigen.

Hier liegt einer der Gründe für den Ersten Weltkrieg, der nicht aus kapitalistischer Profitgier entstand, sondern aus der politischen Konkurrenz der Staaten um ihre Machtentfaltung, die mit dem starken ökonomischen Strukturwandel durcheinandergewirbelt wurde. Die Verlierer dieser Konkurrenzlage, namentlich Großbritannien und Frankreich, waren es, die sich mit heraufkommenden Mächten wie den USA und Deutschland herumschlagen mussten, denen der Kapitalismus in die Hände zu spielen schien, während ihre Karten schlechter wurden.“

 

„Die Globalisierung hatte freilich einen Pferdefuß, der vor allem daarin bestand, dass es mit Großbritannien ein industrielles Zentrum gab, das mit den übrigen Regionen der Welt als Nachfrager von Rohstoffen und Anbieter von Fertigprodukten vernetzt war und diese starke Stellung im Güteraustausch auch genutzt hatte, um sich eine Dominanz als Finanzplatz zu erobern. Während Letztere bis zum Beginn des Erstes Weltkrieges unbestritten war, sank hingegen nach und nach der industrielle Rang des Landes. Die englische Pionierrolle wandelte sich dabei langsam von einem Vor- in einen Nachteil, da England an dem sich seit den 1860er Jahren rasant beschleunigenden industriellen Strukturwandel nur begrenzt teilnahm, ja nur begrenzt teilnehmen zu müssen glaubte, weil das Land die eigene Überlegenheit schließlich für etwas geradezu Naturhaftes ansah. Ein Blick auf die Trends hätte etwas anderes gelehrt, zumindest wäre klar gewesen, dass Versuche wie mit dem Merchandise Marks Act von 1887, die ausländische Konkurrenz mit Vorschriften wie der Auszeichnungspflicht von Waren (ein Beispiel ist das später zum Gütesiegel aufgestiegene ‚Made in Germany‘) vom britischen Markt fernzuhalten, kaum von Erfolg gekrönt sein könnten.

Es scheint, als sei nach 1900 die veränderte Wirtschaftsstruktur der Welt aufmerksamer wahrgenommen wordne, doch da war es im Grunde schon zu spät. Denn um 1900 herum war Großbritannien zwar immer noch der mit Abstand größte Textilproduzent der Welt, auch der Schiffbau  und der Maschinenbau konnte sich sehen lassen; doch in den modernen, wissenschaftsbasierten Industriezweigen der sogenannten Zweiten Industriellen Revolution, in der chemischen Industrie, der Elektrotechnik, der Feinmechanik und der Optik, aber auch im Bereich der Pharmaindustrie war das Land zurückgefallen oder hatte den Anschluss verloren.“

Das kalte Herz des Kapitalismus

Werner Plumpe

ISBN 978-3 87134 754 2

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