„Die Wandlung des Christentums zu einer Religion von Söhnen, die durch die Ausübung der Pastoralmacht in die von Jesus verbotene Vaterrolle zurückdrängten, spiegelt das unerkannte spirituelle Hauptereignis der Spätantike wider: Man könnte es die Konterrevolution der Bischöfe nennen – oder die klerikokratische Restauration. Diese war in der Hauptsache motiviert durch die internen Imperative einer wachsenden Großorganisation, die nicht anders konnte, als die praktisch vorgefundene Unterscheidung zwischen christlichen Laien und Berufsreligiösen als Leitdifferenz aufzugreifen. Ohne die Stufung von Schafen, Hirten und Überhirten wäre der katholische Apparat weder zu denken noch zu verwalten gewesen. Die bischofskirchliche Rückwende setzte – über die schon bei den Evangelisten angestrebte Re-Genealogisierung und Re-Familiarisierung der Botschaft hinaus – jene extreme Re-Paternalisierung des christlichen Gemeindelebens in Gang, ohne die man sich von der Physiognomie des Christentums zwischen 300 und 1800 n.Chr. weder nach seiner alltäglichen noch nach seiner doktrinalen Seite ein angemessenes Bild zu machen vermöchte.
Im Einflussbereich des römischen Katholizismus, wie auch in den griechischen und russischen Orthodoxien, ist dieses patrozentrische Bild bis heute aktuell.“
Peter Sloterdijk (Die schrecklichen Kinder der Neuzeit)