„Was man in heutigen Diskursen den Egalitarismus nennt, ist in seinen konkreteren Anfängen rückblickend leicht als die Offensive der Bastarde und anderer Träger von Erbnachteilen gegen das bestehende System rechtlich verfestigter Diskriminierungen zu erkennen. Wer in das Wort ‚Gleichberechtigung‘ hineinhorcht, wird Chöre des Ressentiments und der Bitterkeit bemerken. Man hat den Imperativ der Egalität so gut wie immer als Prinzip gemeinsamer Herabsetzung auf niedrigschwellige Minimalbedingungen sozialen Lebens ausgelegt, indes die hebende Dynamik des Geschehens unterbelichtet blieb. Fast nie hat man begriffen, unter Juristen nicht und unter Politikern erst recht nicht, daß ‚Gleichheit‘ – von ihrer unentbehrlichen rechtlichen Komponente abgesehen – in kulturdynamischer Hinsicht nur als aristokratische oder meritokratische Kategorie Sinn ergibt: Jede und jeder sollen das Recht haben, zu den Besten zu gehören. Gleichheit besagt, daß keinem Menschen je das Privileg abgesprochen werden darf, sich selbst und die Mitwelt durch generöse Gesten zu überraschen.“
Peter Sloterdijk („Die schrecklichen Kinder der Neuzeit“)