„Nach der Papierform ist die Volkssouveränität allgemein anerkannt: Danach wären in der Hälfte der Menschheit die Opfer und die aktuellen und potentiellen Insassen der Konzentrationslager die Souveräne, und der Tyrann ihr Angestellter.
Es wäre Pflicht der Rechtslehre, auf diesen Kontrast zwischen Doktrin und Wirklickeit hinzuweisen und die Führung im Kampf gegen die Tyrannis zu übernehmen. Sie hat aber nicht bloß geschwiegen, sie hat noch weit mehr getan; sie hat sich in den Dienst der Tyrannis gestellt.
Dank der deutschen Philosophie von Hegel bis Nietzsche ist der Kult der Gewalt allgemein geworden. Die Sophisten stehen groß und geachtet da und beherrschen die Rechtssphäre – und nicht bloß in den Diktaturstaaten; und zu keiner Zeit hat das alte Werkzeug des Absolutismus, der Souveränitätsbegriff, so weite Auslegung gefunden.
Wie die Sophisten identifizieren die Juristen unserer Zeit Recht und Macht. Sie lehnen den Gedanken eines Rechtes über oder in dem Menschen ab und untergraben dadurch die Idee der Menschenrechte. Durch diese rein formale Auffassung wird das Recht relativiert, variabel, lokalisiert, vom Gutdünken der jeweiligen Machthaber abhängig; der Tyrannei wird freie Bahn geöffnet, die Verantwortung von Regierungen abgestreift und in letzter Linie das Völkerrecht zerstört. Das gleiche Handeln kann der einen Nation als Tugend und der andern – oder der folgenden Generation derselben Nation – als Verbrechen erscheinen, und es verschwindet damit jede Rechtskontinuität im Volk und jeder Zusammenhang zwischen den Völkern. Diese Auffassung kommt der totalen Politisierung weit entgegen, sie hat keinen Respekt für die Heroen der Freiheit, den Märtyrer, den gerechten Richter, den unerschrockenen Lehrer. ‚Was ist Wahrheit?‘ fragt mit Pilatus der skeptische Rechtsgelehrte, und er ahnt nicht, daß er damit die Fundamente des Rechtes wie die der Demokratie erschüttert.
Noch opportunistischeres Gepräge zeigt die Soziologie: Der moderne Totalitätsgedanke wird dem wissenschaftlichen Leben des 20. Jahrhunderts sein neues Antlitz geben, so lehrt ein führender europäischer Gelehrter.
Mitten im Todeskampf gegen die Tyrannis lassen uns Rechtslehre und Philosophie der Gegenwart im Stich, und die Massen folgen den vulgärsten Schlagworten politischer Abenteurer. Sollte einem solchen Typ die Weltherrschaft zufallen, so bliebe nicht einmal das Exil als letzte Rettung übrig. Ja es fehlt selbst die Kraft zum wirksamen Protest, und der Selbstmord eines Cato bliebe ohne Widerhall.“
Felix Somary