„Sind wir freier als unsere Vorväter? Niemals fanden Despoten eine zur Knechtschaft bereitere Generation.
Die Servilität wäre erklärlich, hätten die Staaten das Versprechen eingelöst, ihren Angehörigen zum Glück zu verhelfen; aber sie haben mit einem Mangel an Voraussicht und mit Ergebnissen gearbeitet, die zu den Opfern der Völker in schreiendem Mißverhältnis stehen. Und dennoch ist die Bereitschaft zur Unterwerfung allgemein. Es wird als selbstverständlich hingenommen, was gegen das Wesen der Demokratie verstößt: allgemeine Wehrpflicht, hohe und direkte Steuern, Verwaltung von Staatseinnahmen durch Gruppen, die selbst von der Besteuerung ganz oder teilweise ausgenommen sind, umfangreiche dauernde Beamtenschaft, Einfluß der Exekutive auf die Legislative und die Judikatur und vor allem zunehmende Machtkonzentration in einer Hand. Selbst in den Demokratien ist von Widerstandsrecht oder gar von Widerstandspflicht nicht mehr die Rede, politische Attentate beginnen zu den Seltenheiten zu gehören und finden nur ganz vereinzelt Verständnis. Vom Abscheu gegen den Tyrannen, von der Verherrlichung des Tyrannenmörders ist keine Spur mehr zu entdecken. Nie hätte ein Kaiser früherer Tage so umfassenden Gehorsam genossen wie ihn heute das demokratische Staatsoberhaupt verlangt und findet.!
Felix Somary (Krise und Zukunft der Demokratie)